Ausschuss für Gesundheit des Dt. Bundestages lädt HKSH-BV zu 2 Anhörungen ein

Stellungnahme
1) Zum Entwurf eines Gesetzes zur Priorisierung bei der Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (BT-Drucksache 19/25260) der FDP
2) Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE für eine gute na-tionale und internationale Strategie bei Corona-Impfstoffen (BT-Drucksache 19/24362)

Vorbemerkung:
Das Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V. (HKSH-BV) vereint zehn bundesweit organisierte Krebs-Selbsthilfeverbände mit etwa 1.500 Selbsthilfegruppen. Sie decken die Krebserkrankungen von 80 Prozent der ca. vier Millionen Betroffenen in Deutschland ab.
Unser Verband begrüßt die Initiative der Fraktionen FDP und DIE LINKE ausdrücklich.
Wir hatten vor der Verabschiedung, der am 15.12.2020 in Kraft getretenen Coronavirus-Impfverordnung des BMG in einem offenen Brief an Herrn Minister Spahn gebeten, Modifizierungen bei der Festlegung der Impfprioritäten von Krebspatienten vorzunehmen. Hierzu liegen uns fundierte Erkenntnisse von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) vor, die von der Einschätzung der STIKO abweichen.

Wir möchten einleitend darauf hinweisen, dass in unserer Stellungnahme zu dieser Anhörung sich das HKSH-BV verständlicherweise auf den Personenkreis der Krebserkrankten bezieht. Dabei möchten wir jedoch nicht, dass Personen, die ebenfalls an anderen, schweren Erkrankungen leiden, in einer neu angepassten Impfstrategie weniger oder keine Berücksichtigung finden. Ein gegeneinander „Ausspielen“ von Patientengruppen, lehnen wir ausdrücklich ab.

Bei den beiden vorgelegten Anträgen ist es unserem Verband sehr wichtig,
darauf hinzuweisen, dass

  • eine Impfstrategie basierend auf einer gesetzlichen Grundlage, sowie
  • die vorgeschlagene Verteilung anhand transparenter Abwägungen deutlich machen kann,

dass die Akzeptanz zur Schutzimpfung größer bzw. umfassender wird. Letzteres erscheint jedoch nur dann zielführend, wenn dies zeitnah geschieht.

Als Vertretung krebskranker Menschen plädieren wir nachdrücklich dafür,
dass fundierte, durch Studien belegte Erkenntnisse, in Bezug auf eine notwendige Priorisierung von Krebspatienten Berücksichtigung finden:

In der bestehenden Impfverordnung vom 15. Dezember 2020 wurden in Stufe 3 (Erhöhte Priorität) eingeordnet:

Personen mit folgenden Krankheiten: Adipositas, chron. Nierenerkrankung, chron. Lebererkrankung, Immundefizienz oder HIV-Infektion, Diabetes melli-tus, div. Herzerkrankungen, Schlaganfall, Krebs, COPD oder Asthma, Autoim-munerkrankungen und Rheuma

Das HKSH-BV hält es für erforderlich, dass Krebserkrankte (einzubeziehen sind dabei auch diejenigen, deren Überlebenszeitraum länger als 5 Jahre beträgt)
in die Stufe 2 (Hohe Priorität) eingeordnet werden, sofern der Krankheitsstatus dies aus ärztlicher Sicht erforderlich macht.
In diesen Fällen sollten auch die engen Kontaktpersonen des Krebserkrankten in der medizinischen Versorgung und die engsten Kontaktpersonen im privaten Umfeld einbezogen werden.

Die Einschätzung der STIKO für die Einordnung von Patienten mit Krebserkrankungen in die „Erhöhte Priorität“ beruht auf Studien, in denen die Gesamtheit der Patienten mit der Diagnose einer Krebserkrankung betrachtet wurde. Diese übergreifende Einteilung wird den sehr unterschiedlichen Krankheitssituationen nicht gerecht.
Unsere Argumentation für die Notwendigkeit einer höheren Priorisierung basiert auf folgenden Daten, auf die auch die DGHO hingewiesen hat:

  • Patienten mit Krebserkrankungen sind besonders vulnerabel und machen einen relevanten Anteil der Patienten mit COVID-19 aus. Das Clinical Characterisation Protocol-CANCER-UK hat auf Basis der Daten des International Severe Acute Respiratory and emerging Infections Consortium (ISARIC)-4C eine Gruppe von 7.026 COVID-19 Patienten mit der Diagnose einer Krebserkrankung identifiziert. Dies entsprach 10,5% der Patienten in der Datenbank.
    Die Behandlung dieser häufig komorbiden Patienten ist komplex. Hinzu kommt die Problematik einer prolongierten Ausscheidung von SARS-CoV-2 bei immunsupprimierten Patienten, die ein entsprechendes Monitoring und die konsequente Durchführung von Hygienemaßnahmen auch nach der akuten Infektionsphase erforderlich machen kann.
  • Patienten mit Krebserkrankungen haben in den internationalen Registeranalysen eine signifikant höhere Mortalität als Patienten ohne Krebserkrankungen. In der oben bereits zitierten Analyse aus Großbritannien betrug die Mortalität bei den hospitalisierten Patienten mit Krebserkrankung 40,5% vs. 28,5% bei Nicht-Krebspatienten (HR 1,62; p<0,001). Im deutschen LEOSS-Register lag die Sterblichkeit der Krebspatienten mit 22,5% insgesamt niedriger.
    Der Unterschied zwischen Krebs- und Nicht-Krebspatienten liegt mit 22,5 vs. 14% (p<0,001) im selben Bereich. Eine zusätzliche Gefährdung sich für Patienten mit hämatologischen Neoplasien. Die Sterblichkeit an COVID-19 liegt weiter oberhalb der im STIKO-Bericht aufgeführten Zahl.
  • Differenziertere Analysen haben innerhalb der Patienten mit Krebserkrankungen weitere Risikofaktoren identifiziert: höheres Alter (als Kontinuum in Dekaden), männliches Geschlecht, Rauchen, Anzahl von Komorbiditäten, aktive Krebserkrankung und aktuelle Therapie. Insbesondere die aktive Krebserkrankung steigert die Mortalität sowohl bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien als auch bei Patienten mit soliden Tumoren um den Faktor 2. Die Risikofaktoren männliches Geschlecht, Alter und aktive Krebserkrankung wurden auch im deutschen LEOSS-Register bestätigt.

Auf der Basis dieser Daten schlagen wir eine hohe Priorisierung von Patienten mit Krebserkrankungen vor. Die von der DGHO vorgeschlagenen Parameter zur weiteren Charakterisierung der Patienten mit Krebserkrankungen als Basis einer COVID-19 Impfung sind transparent und umfassend dokumentiert. Der derzeitige Vorschlag der STIKO zur Priorisierung kann die COVID-19-Mortalität nur für alte Patienten >75 bzw. >80 Jahre senken. Die erhöhte Mortalität von jüngeren und jungen Patienten mit Krebserkrankungen wird dadurch nicht gesenkt. Die Grundsätze des Shared Decision Making zwischen Arzt und Patient bei der patientenindividuellen Entscheidungsfindung über die Durchführung einer Schutzimpfung werden durch diesen Vorschlag für eine hohe Priorität von Krebspatienten beim Zugang zur Schutzimpfung nicht beeinträchtigt.

Für fachliche Erläuterungen steht Frau Dr. Ulrike Holtkamp zur Verfügung.

 


Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit vom 10.12.2020 zur Änderung des Bundeskrebsregisterdatengesetzes für eine bundesweite Zusammenführung von Krebsregisterdaten

Transparenzinformation zum Verfasser, Herrn Rainer Göbel: Beruflich ist er beim Gemeinsamen Krebsregister (GKR) in Berlin als Leiter der Arbeitsgruppe IKT beschäftigt und sitzt ehrenamtlich als Patientenvertreter im Beirat des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD).

Allgemeines
Grundsätzlich begrüßen wir die Zusammenführung von epidemiologischen und klinischen Daten aus allen deutschen Krebsregistern – wie es bei den epidemiologischen Daten der Landeskrebsregister seit Jahren durchgeführt wird. Das schafft eine breitere und validere Datenbasis für Wissenschafts- und Forschungszwecke.

Den vorgelegten Referentenentwurf halten wir deshalb für eine gute Grundlage zur Weiterentwicklung der Krebsregistrierung in Deutschland, insbesondere da wir gegenüber einigen anderen Ländern der EU zum Teil großen Nachholbedarf haben, was die Qualität und die Auswertungen der Krebsregisterdaten betrifft. Hier sind vor allem die Einbeziehung klinischer Daten, die Vollzähligkeit und Homogenität der Datenerhebung sowie die Qualität der Dateninhalte zu nennen.

Organisation und Zeitplan
§ 9 Absatz 4 sieht vor, dass die ADT, DKG, DKH, ZfKD und die Krebsregister bis 31.12.2025 ein Konzept zur bundesweiten Zusammenführung der Krebsregisterdaten nach BKRG neu erarbeiten sollen. Weiterhin sieht § 9 Absatz 5 vor, dass DKKR, ZfKD und die Krebsregister bis 31.12.2024 ein Konzept für die Kinderkrebsdaten erarbeiten sollen.

An dieser Vorgehensweise bemängeln wir ausdrücklich zwei Punkte:

  1. Es sind keine Patientenvertreter involviert.
    Krebsregisterdaten werden durch Patienten generiert und sollen von Experten ausgewertet werden, damit die Ergebnisse wiederum Patienten zugutekommen. Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, warum sich bei der Konzepterarbeitung nur die Experten einbringen dürfen, zumal es diverse Patienten gibt, die im Laufe der Zeit ebenfalls eine hohe Kompetenz mitbringen.
  2. Wir halten es für essenziell, dass bei der Ausgestaltung der Inhalte und Abläufe mindestens 2 Patientenvertreter beteiligt sind. Dies ist im Übrigen auch beim Lenkungsausschuss zur Gestaltung des neuen NCT-Verbunds der Fall.
  3. Die eingeräumten Fristen von ca. 5 bzw. ca. 4 Jahren sind viel zu lang.
    Im Gegensatz dazu müssen die beiden NCTs mit den 4 neu dazugekommenen Spitzenzentren innerhalb eines Jahres ein tragfähiges Konzept erstellen, wie sie gemeinsam in die Zukunft gehen. Wir plädieren dafür, dass beide Konzepte spätestens zum 31.12.2022 vollständig ausgearbeitet vorliegen müssen.

Beirat und wissenschaftlicher Ausschuss

§ 4 Absatz 2 legt fest, dass bei der Besetzung des wissenschaftlichen Ausschusses § 3 Absatz 2 Satz 2 bis 4 entsprechend gelten solle. Das schließt die Patientenvertreter aus, die in Satz 9 genannt werden.

„Nothing about us without us“ lautet das Motto internationaler Patientenvereinigungen. Seit über 10 Jahren nimmt ein Patientenvertreter mit Stimmrecht im Beirat des ZfKD teil und entscheidet mit über die Bewilligung von Datenanträgen. Uns ist nicht bekannt, dass sich das in irgendeinem Fall nachteilig ausgewirkt hätte. Abgesehen davon gibt es wissenschaftlich kompetente Patientenvertreter.

Bei Empfehlungen zur Weitergabe von Patientendaten durch den neu zu bildenden wissenschaftlichen Ausschuss muss auch die Stimme der Patienten berücksichtigt werden.

Außerdem sprechen wir uns für die Einführung einer Vertreterregelung in den Paragrafen 3 und 4 aus. Nicht nur Patientenvertreter, auch vermeintlich gesunde Experten können verhindert sein.

Datenhoheit und Datenschutz

Die erhobenen Daten stammen von Krebspatienten und sind somit personenbezogene Daten gemäß Artikel 9 DSGVO. Der vorliegende Entwurf muss durch Transparenz in den Prozessen und Einbindung der Betroffenen in allen Bereichen der Sorge der Datengeber Rechnung tragen, dass mit ihren Daten sorgsam und sicher umgegangen wird.

Außerdem muss klar geregelt werden, welche Organisationen berechtigt sind, welche Daten zu erhalten und was mit diesen Daten verknüpft werden darf.

Datenmanagement

Eine dezentrale Datenhaltung zeigt sich in vielen wissenschaftlichen Zusammenhängen als schwerfällig, wie man bei Projekten wie der Untersuchung der Intervallkarzinome beim Mammographiescreening oder der Nationalen Kohorte erleben kann. Sobald sich ein Parameter ändert, sind häufig in allen Ländern erneut diverse Arbeitsschritte erforderlich. Ebenso ist eine anlassbezogene Zusammenführung der relevanten Daten aller Landeskrebsregister bei jeder einzelnen Auswertung nicht effizient. Außerdem können manche Anträge nicht sinnvoll bearbeitet werden, wenn sie an einzelne KKR separiert und anschließend wieder aggregiert werden.

Deshalb sollten die epidemiologischen und klinischen Daten an einer zentralen Stelle (ZfKD) mit 2 Organisationseinheiten vorgehalten werden. Hier lässt sich auf die Erfahrungen mit der datenschutzkonformen Trennung einer Vertrauens- und einer Registerstelle der bisherigen Krebsregister zurückgreifen. Zur Separierung der Daten kann eine Kontrollnummer, die aus der Versichertennummer generiert wird, verwendet werden.

Weitere Fragen sollten im Vorfeld geklärt werden:

Wie wird gewährleistet, dass Dopplungen bei Patienten ohne die Verwendung von Kontrollnummern eliminiert werden können? Im ZfKD macht der Abgleich derzeit einen nicht unerheblichen Aufwand aus und das Wohnortprinzip kann aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsweisen und Datenquali-täten in den Länderkrebsregistern dieses nur teilweise kompensieren.

Wie werden Inhalte und Qualität der Daten der Länderkrebsregister sowie die Einhaltung von Zeitplänen gewährleistet?

Dies bildet die Basis eines funktionierenden bundesweiten Krebsregisterstands. Die letzten Jahre waren durch die Einführung bzw. den Ausbau der klinischen Krebsregister davon geprägt, dass viele Abläufe neu konzipiert wurden, was die Bildung eines bundesweiten epidemiologischen Registerstands massiv erschwert hat.

Detailaspekte

Die Verwendung des Begriffs „Datensatz“ ist missverständlich und es sollte zwischen „Datensatzstruktur“ und „Datensammlung“ bzw. „Datenbank“ differenziert werden.

In § 2 Absatz 3 sollen neben den regionalen auch die zeitlichen Unterschiede genannt werden. Außerdem halten wir die Berücksichtigung von Medikation und Leitlinien sowie der Überlebensrate für wichtig. Wünschenswert sind weiterhin RiskScores und sozioökonomische Daten.

Bei § 2 Absatz 4 sollte einheitlich von „Daten nach § 5 Absatz 1“ gesprochen werden:

In § 5 neu Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c sollte der seit Jahren etablierte Begriff „Amtlicher Gemeindeschlüssel“ statt der veralteten „Gemeindekennziffer“ verwendet werden und „zum Zeitpunkt der Diagnose“ sollte ergänzt werden, da dies ein wichtiges Kriterium bei der Eingrenzung ist.

Bei § 5 neu Absatz 2 Buchstabe h halten wir „Art der Primärtherapie“ für veraltet. Besser ist die unter Artikel 2 erfolgte Aufführung aller Therapien mit Datumsangabe.

Die unter Artikel 2 bei § 5 Absatz 1 Satz 3 Buchstabe c erfolgte Zusammenfassung von systemischer und abwartender Therapie ist aus unserer Sicht hinderlich und wir wünschen uns eine Auftrennung in 2 separate Positionen.

In § 5 Absatz 1 Satz 5 Buchstabe b sollte bei Todesursachen der Plural verwendet werden, zumal häufig keine eindeutige Angabe erfolgt und ein Verstorbener an mehreren Krebsarten erkrankt sein könnte, die todesursächlich waren.

In § 8 Absatz 1 Satz 4 sollte das genaue Datum der Entscheidung über den Antrag aufgeführt werden.

Bei § 10 Absatz 3 fehlt uns ein Bezug auf Leitlinien

Die Verweise in § 12 Absatz 1 auf § 7 sind unverständlich.

veröffentlicht am 15.01.2021
aktualisiert am 15.01.2021